Ute Döring | 29. Juni 2023
Die wichtigsten Menschen im Unternehmen nicht nur als Individuen vorzustellen, sondern ihre besondere Beziehung zueinander zu beleuchten, finde ich spannend: „Wie kommt man auf die Idee, ausgerechnet mit dem eigenen Bruder oder der eigenen Schwester ein Beratungsunternehmen zu gründen und was bedeutet das wirklich?“
Zugegeben: Ich kenne Paare, die gemeinsam eine Segelschule leiten oder gerade ihren Traum vom Gästehaus mit Weinberg in Portugal verwirklichen. Ich kenne Schwestern, die den Familienbetrieb übernommen haben und irgendwann doch ihre eigene Nische suchen. Die Geschichte der Dassler-Brüder, die gemeinsam starten und zwei miteinander konkurrierende Weltkonzerne hinterlassen, kennen wir alle. Dass ein Geschwisterpaar, genauer gesagt eine ältere Schwester mit ihrem jüngeren Bruder gemeinsam eine GmbH gründet, ist weder besonders exotisch noch eine Schlagzeile wert, erstaunt aber trotzdem:
Wer, wie ich, einen jüngeren Bruder hat, den er/sie als Erwachsene nur zu den üblichen Familienfesten trifft, wird automatisch hellhörig. Besorgte Kommentare wie: „Echt jetzt? Habt ihr da nicht ständig Zoff?“, „Das kann ich mir ja beim besten Willen nicht vorstellen“, „Dann redet ihr doch auch in der Freizeit nur über die Firma, oder?“ kennen Stefanie und Alexander in allen Facetten. Ich versuche es also anders und starte meine Spurensuche in der Kindheit: War sie tragisch wie bei Hänsel und Gretel oder harmonisch wie bei Tommy und Annika, unseren tradierten role models für vorbildliche Geschwisterpaare?
Es klingt tatsächlich ein wenig wie Bullerbü, wenn Stefanie und Alexander von ihrer Kindheit am Tegernsee schwärmen: Ein Haus mit großem Garten nur einen Steinwurf vom See entfernt, gemeinsame Interessen, ein gemeinsamer Freundeskreis und die Leidenschaft für Volleyball klingen schon mal ganz anders als meine eigene Kindheit mit einem 3,5 Jahre jüngeren Bruder, der mich in der 3-Zmmerwohnung in der Innenstadt manchmal ganz schön nerven konnte. Liegt es am geringeren Altersunterschied von nur knapp 2 Jahren, am Umfeld oder daran, dass die Eltern damit beschäftigt waren, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen und Stefanie und Alexander früh lernten, auch aufeinander zu achten? Mit den Begriffen „Revierkämpfe“, „Eifersucht“ und „Rivalität unter Geschwistern“ können jedenfalls beide wenig anfangen.
Das finde ich schon mal bemerkenswert. So sehen also Geschwister aus, die wie im Märchen oder bei Astrid Lindgren immer füreinander da sind, gemeinsam durch dick und dünn gehen und schwierigste Situationen als starkes Team gegen alle Widrigkeiten souverän meistern. Obwohl Stefanie und Alexander meine These ein wenig relativieren, gelingt es ihnen nicht wirklich. Ich verstehe, dass sich in der gemeinsamen Kindheit und Jugend etwas entwickelt hat, was die Zusammenarbeit der beiden bis heute prägt:
sind frühe Anker für eine tragfähige Verbindung, die viele erwachsene Geschwister mal stärker, mal schwächer empfinden. Irgendwie logisch: Geschwister sind unsere ersten Bezugspersonen auf Augenhöhe und kennen uns und unsere Reaktionen irgendwann besser als wir selbst. Aus diesem Grund haben die meisten Geschwister auch früher oder später das natürliche Bedürfnis, sich abzunabeln, der eigenen Rolle in der Familie zu entfliehen und sich neu zu erfinden.
Das war bei Alexander und Stefanie nicht anders. Sie gingen mit 18 Jahren sogar vergleichsweise früh eigene Wege. Sie lebten in unterschiedlichen Ländern, widmeten sich ganz verschiedenen Studiengängen wie Psychologie, Internationales Management bzw. Wirtschaftsingenieurwesen und Elektrotechnik. Auch ihre Karrieren verliefen in ganz unterschiedlichen Bahnen. Wie in jeder Familie gab es Phasen der Funkstille. Die beiden schafften es trotzdem, sich gegenseitig auf den aktuellen Stand zu bringen, echtes Verständnis für den Berufs- und Lebensweg des anderen zu entwickeln und fachlich über den eigenen Tellerrand zu schauen.
Wann die beiden zum ersten Mal ein gemeinsames Arbeitsprojekt in Angriff genommen haben, wissen sie noch sehr genau. Das war, als Alexander Stefanie bei der Entwicklung von mindSTOP, dem Spiel, das bis heute einen Ehrenplatz im changefication-Portfolio hat, half. Dass ausgerechnet dieses Spiel ein paar Jahre später zur „Warum machen wir uns nicht einfach selbständig?“-Idee führte, war entweder ein Wink des Schicksals oder doch dem gemeinsamen Gründer-Gen geschuldet. Ganz bewusst einen „mindstop“ zu machen und sich neu zu orientieren, gehört immer wieder zum Leben. Dass es danach nicht noch schneller, höher oder weiter gehen muss, sondern aus dem Vertrauten etwas ganz Neues entstehen kann, empfinden Stefanie und Alexander bis heute als Glücksfall. Aus diesem Grund sind sie auch froh, dass sich die Frage, das Unternehmen der Eltern irgendwann zu übernehmen, für sie nie gestellt hat. Gemeinsam etwas Neues zu gestalten, passt viel besser zu ihnen.
Klar, gibt es auch bei den Gründer-Geschwistern Konflikte, aber die gemeinsame Sprache und die gemeinsamen Bilder im Kopf machen es im Normalfall leicht, Themen anzusprechen und mit gegenseitigem Respekt auf Augenhöhe zu lösen. Wichtig empfinden beide, dass sie von Beginn an klare Regeln und Zuständigkeiten definiert haben und nach Feierabend das Thema „changefication“ tatsächlich tabu ist. In der Freizeit gehen die Geschwister inzwischen ohnehin unterschiedlichen Interessen nach und auch die Freundeskreise sind längst nicht mehr die gleichen. Während Alexander Action braucht und als DJ bei Techno Partys die Nacht zum Tag macht, genießt Stefanie zum Kraft-Tanken die Natur und viel Ruhe. Nur wenn ein Star Wars Film läuft, ziehen die beiden nach Feierabend mal gemeinsam los!
Mein Fazit:
Wenn Geschwister gründen, ist das nicht automatisch anstrengend, sondern kann – wie vieles im Leben – eine gute Veränderung sein und jede Menge Spaß machen. Ganz klar: Bedingungsloses Vertrauen, gemeinsame Werte und eine Vision gehören dazu. Stefanie und Alexander verbringen definitiv weniger Zeit miteinander als Lebenspartner, die ein Start Up gründen wollen, und obwohl sie sich täglich im Office sehen, haben sie so gut wie nie Zoff miteinander. Weil sie sich so gut kennen, fällt es ihnen leicht, gut aufeinander zu achten und Bedürfnisse frühzeitig wahrzunehmen. Stefanie und Alexander ergänzen sich in ihren unterschiedlichen Stärken und wissen, wie sie diesen Vorteil für sich selbst und die changefication nutzen.
Ich glaube zwar immer noch nicht, dass ich mit meinem Bruder je eine GmbH gründen werde, aber ich habe verstanden, wie und warum das bei Stefanie und Alexander so gut funktioniert.